Deutschland ⇒ Nordrhein-Westfalen ⇒ linker Niederrhein
An der Bahnstrecke Krefeld ⇒ Kleve liegt die Stadt Kevelaer.

Dort gibt es keine wirklichen Hochhäuser.
Alle höheren Bauwerke sind entweder Wasser- oder Kirchtürme.

Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen,
doch in Kevelaer gibt es eine ganze Reihe von Kirchen und Kapellen.
Schließlich handelt es sich um einen recht bekannten Wallfahrtsort.

Sogar Pabst Johannes Paul II hat 1987 diesen Ort besucht
und vor dem berühmten Marienbildchen in der Gnadenkapelle gebetet.
smileyKeine Panik !smiley
Es folgt kein Vortrag über die Stadt Kevelaer und ihre Geschichte.

Im Marien-Hospital in Kevelaer wurde ich (Rudi Tresemer) am 23. August 1962 geboren.
Meine Eltern, Irmtraut und Heinz Tresemer, hatten bereits drei Kinder.
(Marianne 12, Barbara 14 und Jürgen 16 Jahre alt)
Als Nachzögling war ich der ganze Stolz meiner Eltern.
Ein richtiger Wonnepropen soll ich gewesen sein.

Es gibt Menschen, die können sich an ihre frühesten Kindheitsjahre erinnern.
Mit 2 haben sie Papas LKW gelenkt und mit 3 durften sie bereits einen Jumbo-Jet fliegen.
Es waren eben richtige Wunderkinder.
Zu denen zähle ich nicht.
Die Erinnerungen an meine Kindheit befinden sich hinter einem Nebel des Vergessens.
Nur an einzelnen Stellen bricht der Nebel auf und die Erinnerung wird sichtbar.
Außerdem gibt es noch die Geschichten,
die selbst Heute noch im Kreis der Familie erzählt werden.
 
Wegen einer zu geraden Wirbelsäule sollte ich als Kleinkind in einem Gipsbett schlafen.
Mit Hilfe einer Form aus Gips wird dabei versucht der Wirbelsäule die richtige Krümmung zu geben.
Das Kind, also ich, wird auf dem Rücken liegend auf dieser Gipsform festgeschnallt
und soll so schlafen.  Diese extreme Einengung hat mir wohl nicht sehr gefallen.
Ich habe dann solange geschrien bis ich wieder befreit wurde.
Als Resultat ist meine Wirbelsäule zu gerade geblieben.
Was ich bis zum heutigen Tag bei jedem Bücken bemerke.
Mit den Händen den Boden berühren und dabei die Knie durchgedrückt lassen
war und ist mir nicht möglich.
Aber das stört mich nicht wirklich.
Eine Gold-Medaille im Turnen will ich gar nicht gewinnen.

Wir wohnten damals in dem kleinen Örtchen Kervenheim.
Früher hatte dieser Ort wohl auch mal Stadtrechte.

Ich kenne ihn nur als recht kleines und bescheidenes Dorf.
Irgendwann wurde Kervenheim eingemeindet und heißt seitdem, zumindest offiziell, Kevelaer 2.
Dort verbrachte ich meine Kindheit und Jugend.
 
Mein Vater, ein gelernter Bäcker und Konditor, hat zu dieser Zeit im Gleisbau gearbeitet.
An den Wochenenden ging er zum Karten spielen in die Kneipe.
Schon sehr früh soll er mich, voller Stolz, seinen Kumpanen präsentiert haben.
Die haben Karten gespielt und diverse Bierchen getrunken
und ich habe in der Zeit im Kinderwagen, in einer Ecke der Gaststätte, gelegen.
Später hat er, wegen der Sauferei, seinen Job verloren.
Dann ging es mit ihm richtig bergab.
Der Alkohol wurde zu seinem besten Freund.
Sorry, wenn ich das so ehrlich sage,
aber wenn ich mich Heute an meinen Vater erinnere,
so sehe ich ihn völlig betrunken vor dem Fernseher sitzend
mit einer Bierflasche in der Hand.
Meine Mutter war da ganz anders.
Jeden Wunsch versuchte sie mir zu erfüllen.
Dabei hat sie selbst auf vieles verzichtet.
Im Alter von vier Jahren soll ich mit meiner Mutter in Spanien im Urlaub gewesen sein.
Immer wieder gab es Reisen zum spanischen Festland, oder aber auch nach Mallorca.
Ein Mal waren wir im rumänischen Ort Mamaia.
Diese Stadt liegt auf einer etwa sieben Kilometer langen,
aber nur etwa 350 Meter breiten Landzunge
 zwischen dem schwarzen Meer und einem Süßwassersee.
Damals gab es dort ein Amphitheater in dem auch Operetten aufgeführt wurden.
Eine Operette habe ich über mich ergehen lassen.
Als wir die Eintrittskarten für die zweite Operette bereits gekauft hatten,
wurde mir plötzlich richtig übel. Wir konnten nur die Karten weiterverkaufen
und meine Mutter musste auf den Genuss der Operette verzichten.
Sorry Mama,
aber mit einem Knirps wie mir eine Operettenaufführung besuchen zu wollen,
war wirklich keine gute Idee.
Die meisten dieser Reisen machten meine Mutter, eine meiner Schwestern und ich.

Dunkel kann ich mich nur an eine Reise mit meinen Eltern nach Mallorca erinnern.
Mein Vater saß die meiste Zeit in einer Bar und schlürfte "Cuba libre".
Mehr "libre" als "Cuba" meinte er zum Barkeeper und meinte mehr Rum als Cola.
Oh ja, auch wenn ich mich nur an wenige Einzelheiten erinnern kann,
in meiner Jugend habe ich viel von Europa kennen gelernt.

Meine Geschwister:
Von meinem Bruder Jürgen weiß ich leider nicht sehr viel.
Er soll mit 16 Jahren von unserem Vater aus dem Haus geworfen worden sein.
Danach ist er als Landstreicher und Hilfskoch wohl immer durch Deutschland gezogen.
Nur sehr selten hat er uns besucht.
Wirklich kennen lernen konnte ich ihn leider nie.
Als Kleinkind sollten meine Schwestern sich häufig um mich kümmern.
Während Bärbel immer wieder mit mir spazieren gegangen ist,
soll Marianne nur gesagt haben:
"Stellt den Kinderwagen auf den Balkon, da ist auch frische Luft."
Marianne und Bärbel haben geheiratet
und ihre eigenen Familien gegründet.
Bärbel ist zu ihrem Mann nach Lohmar gezogen.
Das ist von Kevelaer zwar nur etwa 140 Kilometer entfernt,
trotzdem war ein Besuch bei ihr immer eine halbe Weltreise.
Einfach ins Auto setzen und losfahren ging nicht.
Wir hatten kein Auto. Wer hätte es auch fahren sollen ?
Allein durch die Entfernung war der Kontakt zu ihr recht schwierig.
Marianne blieb mit ihrem Mann Peter in der Nähe wohnen.
Wann immer meine Mutter krank war, lebte ich bei ihr.
Von vielen fremden Menschen wurde ich als ihr Sohn angesehen.
Eines Tages waren wir in Krefeld.
Marianne wollte für sich neue Klamotten kaufen.
Sie hielt sich ein langes Kleid vor den Körper und bat mich um meine Meinung.
"Ist das ein Kleid oder ein Nachthemd ?"
Prompt kam von einer Frau, die das zufällig mitbekommen hatte:
"Da hat ihr Sohn ihnen aber mal die Meinung gesagt !"
Irgendwann, ich war schon älter, habe ich einen Tanzkurs besucht.
Zum Abschlußball wurde ich von Marianne, ihrem Mann und meiner Mutter begleitet.
Vom Tanzlehrer wurden Marianne und Peter als meine Eltern begrüßt.
Außerdem hatten wir noch meine Oma mitgebracht.
Ups, war dieses Versehen dem Tanzlehrer peinlich,
als ich ihm die tatsächlichen Familienverhältnisse erklärte.
Durch meine älteren Geschwister lernte ich recht früh Lesen, Schreiben und Rechnen.

Wenige Tage vor meinem siebten Geburtstag wurde ich eingeschult.
Der Schularzt hatte ein Sehleiden bemerkt und fortan durfte ich eine Brille tragen.
Wäre ich nicht auch vorher schon ein Einzelgänger gewesen,
spätestens in der Grundschule wäre ich dazu geworden.
Von meinen Mitschülern erhielt ich den Spitznamen "Professor".
Die anderen Kinder spielten nach der Schule gemeinsam.
Ich blieb meistens allein und beschäftigte mich lieber mit
Lego-Bausteinen, Fiischertechnik oder Büchern.

Der Sandkasten eines Spielplatzes wurde für mich zu einer Mondlandschaft.

Im Sommer lebten in der Fleuth Haie und Krokodile.
So erlebte ich die unterschiedlichsten Abenteuer.
Ja, an Fantasie hat es mir wirklich nicht gemangelt.
Wer jetzt nach Computern fragt, sorry,
aber die gab es zu dieser Zeit in privaten Haushalten noch gar nicht.
Im ersten Schuljahr gab es ganz allgemeinen Religionsunterricht.
Im zweiten sollten wir Kinder dann je nach Konfession unterrichtet werden.
Es gab ein Gruppe evangelischer Kinder, eine Gruppe von katholischen Kindern
und es gab mich, der ich keiner Kirche angehörte.
Meine Eltern waren irgendwann aus der Kirche ausgetreten
und somit war ich auch als Kleinkind nicht getauft worden.
Aus dem ersten Schuljahr kannte ich unseren katholischen Pastor Schneider.
Seine ganze Art und auch sein Ansehen in der Gemeinde gefielen mir.
Für mich war er so eine Art väterlicher Freund.
Es war nicht mein Glaube an Gott, sondern eher meine Verehrung für diesen Priester,
die mich veranlasste mich mit 8 Jahren katholisch taufen zu lassen.
Außerdem konnte ich so weiter am katholischen Religionsunterricht teilnehmen
und war kein Sonderling.
Pastor Schneider fand meinen Wunsch getauft zu werden richtig toll.
Ich wurde zu einem fleißigen Kirchgänger.

Sogar Meßdiener war ich eine Zeit lang.
Mein damaliger Berufswunsch war katholischer Priester.
Pastor Schneider wollte mich dabei sogar unterstützen.
Leider wurde Pastor Schneider dann nach Münster versetzt
und bei seinem Nachfolger ließ mein Interesse an der katholischen Kirche nach.
In der Grundschule habe ich nicht viel gelernt.
Ich konnte ja schon alles, zumindest dachte ich das.
Nach der Grundschule wurde einen Eltern empfohlen mich im Gymnasium anzumelden.

Puh, war das plötzlich ein Unterschied.
Hier konnte ich eben noch nicht alles, woher auch ?
Bei Englisch, Französisch und anderen Fächern
hätten weder meine Geschwister noch meine Eltern mir helfen können.
Von Anfang an war klar, dass ich da irgendwie alleine klar kommen musste.
Leider hatte ich nie gelernt wie man richtig lernt.
So wurde ich zu einem eher unterdurchschnittlichen Schüler,
der sich bis zum Abitur irgendwie durchgehangelt hat.

In der Grundschule in Kervenheim gab es nur Schülerinnen und Schüler aus diesem Ort.
Das Kardinal von Galen Gymnasium befindet sich in Kevelaer.
Die Schülerinnen und Schüler kommen aus dem gesamten Stadtgebiet
und teilweise sogar aus den Nachbarstädten.
Neben diversen anderen Kindern lernte ich auch Monika, Petra und Sigrid neu kennen.
Die drei Mädchen waren befreundet und verbrachten die Pausen meist zusammen.

Gerade Monika gefiel mir sehr.
Ständig hänselten wir uns gegenseitig.
Das war nicht böse gemeint.
Es war eher unsere Art zu zeigen,
dass man den anderen gern hatte.
Meine Gedanken waren ständig bei ihr.
Fehlte sie in der Schule, so machte ich mir Sorgen.
Leider beschränkte sich unsere gemeinsame Zeit auf die Vormittage in der Schule.
Sie um ein Treffen nach der Schule bitten, dazu fehlte mir der Mut.
In meiner Phantasie habe ich so öfters getroffen.
Naja, wovon pubertierende Jungs so träumen.
 
Einmal gab es in der Schule eine Schul-Disco.
Ich nahm allen Mut zusammen und fragte ob sie mich dorthin begleiten würde.
Sie stimmte zu.
Der direkte Weg von Kervenheim nach Kevelaer führt nicht über Wissen.
Allerdings ist der Weg über Wissen auch kein sehr großer Umweg.
So konnte ich Monika von Zuhause abholen
und wir radelten gemeinsam zum Kardinal von Galen Gymnasium.
Zu dem Lied "Yes Sir, I can boogie" vom Duo Baccara tanzten wir zusammen.
Selbst wenn ich heute dieses Lied zufällig im Radio höre,
bekomme ich eine Gänsehaut und muss unverzüglich an Monika denken.
Natürlich habe ich sie auch wieder auf dem Heimweg begleitet.
Worüber wir gesprochen haben, weiß ich nicht mehr.
Nur ihr zu sagen was ich empfinde, dazu fehlte mir der Mut.
 
Irgendwann wurde ich von Monika zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen.
Pünktlich stand ich mit Schmetterlingen im Bauch
und weichen Knien vor ihrer Haustür.
Dann kam der Schreck.
Alle anderen eingeladenen Gäste hatten abgesagt
und somit sollte es gar keine Party mehr geben.
Nur mir hatte das niemand mitgeteilt.
Mich einfach wieder weg schicken wollte sie auch nicht.
Schnell wurde Petra, die in der Nähe wohnte, angerufen.
Petra brachte noch ein weiteres Mädchen mit.
Eine Französin mit super langen Haaren,
die als Austauschschülerin aktuell bei Petras Familie wohnte.
Die drei Mädels und ich feierten dann Monikas Geburtstag.
 
Im achten Schuljahr reichten meine Leistungen nicht aus.
Eventuell waren meine Gedanken zu oft bei Monika gewesen.
Egal was der Grund war, ich wurde nicht versetzt.
An die Sommerferien vor meiner Nachprüfung kann ich mich noch recht gut erinnern.
Die Mutter eines Schulfreundes hatte mit meinem Lehrer gesprochen,
was denn möglicherweise in der Nachprüfung abgefragt würde.
Dann lud sie mich zu sich ein, um mit mir zu lernen.
So verbrachte ich die ersten drei Wochen auf einem Bauernhof.
Ehrlich gesagt, mit meinem Schulfreund wollte ich nicht tauschen.
Bei der Hofarbeit helfen und für die Schule lernen,
Morgens recht früh aufstehen und am Abend sehr früh ins Bett,
so verliefen seine Tage.
Für's Spielen, oder einfach mal Kind sein, blieb kaum Zeit übrig.
Die zweite Hälfte der Ferien verbrachte ich in Himmighausen bei Höxter.
Meine Mutter kannte Sigrids Eltern, was ich allerdings nicht wusste.
Dieses Ehepaar leitete eine Jugendgruppe,
Regelmäßig traf sich diese Gruppe an Wochenenden in der Jugendherberge in Kevelaer.
In den Schulferien wurden Gruppenreisen veranstaltet.
In diesem Jahr ging es eben nach Himmighausen und ich durfte mit.
Klar, auch dort habe ich versucht für die Nachprüfung zu lernen,
die meiste Zeit hatte ich allerdings einfach nur Spaß.
 
Nach den Sommerferien kam es zur Nachprüfung.
Der Deutsch-Lehrer hatte inzwischen das Prüfungsthema geändert
und somit war ich komplett unvorbereitet.
An das genaue Thema kann ich mich nicht mehr erinnern.
Bei einer Frage ging es um die Eigenschaft einer bestimmten Person.
Alle möglichen Eigenschaften habe ich genannt,
doch der Lehrer wollte unbedingt das Wort "stolz" hören.
Was mir allerdings, auch nach mehrmaliger Nachfrage, nicht über die Lippen kam.
Als Ergebnis durfte ich das Schuljahr wiederholen.
 
Monika war während der Ferien in England gewesen.
Dort hatte sie einen Jungen kennen gelernt und sich verliebt.
Sie erzählte mir davon.
Was sie für mich empfindet sei höchstens Freundschaft, aber in keinem Fall Liebe.
Es sei besser wenn jeder von uns nun seinen eigenen Weg gehen würde.
Mein Sitzenbleiben habe damit Nichts zu tun !!!
Tja, das musste ich erst mal verkraften.
Wir gingen beide in die gleiche Schule,
wenn auch in verschiedenen Jahrgangsstufen.
Natürlich sahen wir uns in den Pausen manchmal,
doch außer einem freundlichen "Hallo" gab es keine weitere Kommunikation.

Seit meiner Reise mit der Jugendgruppe verbrachte auch ich
jedes zweite Wochenende mit den anderen in der Jugendherberge von Kevelaer.
Da ich der älteste Teilnehmer war, wurden mir immer wieder kleine Aufgaben anvertraut.
So wurde ich von einem einfachen Teilnehmer zu einer Art Betreuer.
An den Wochenenden, an denen es kein Gruppentreffen gab, habe ich Kurse besucht.
Mal war es ein Rhetorik-Kurs. oder es ging um den richtigen Umgang mit den Kindern.
Oh ja, ich war selbst noch fast ein Kind und lernte den richtigen Umgang mit Kindern.
Ohne mein Wissen bin ich sogar in die Gruppenleitung aufgestiegen.
Sigrids Eltern (Die ja die Gruppe führten) und ich fuhren zusammen in die Nähe von Frankfurt.
Dort fand eine Klausurtagung der einzelnen Gruppenleitungen aus ganz Deutschland statt.
Mir machte die Arbeit in der Jugendgruppe sehr viel Spaß.
Für Gruppenreisen, die in den Schulferien statt fanden, brauchte ich nicht bezahlen.
Im Gegenteil, zum Ende der Reise erhielt ich sogar noch Geld für meine Tätigkeit.
Doch das Geld war mir nicht so wichtig.
Ich lernte Sigrid viel besser kennen.
Wir verbrachten viel Zeit zusammen.
Durch ihre Eltern war sie natürlich auch eine Betreuerin der Gruppe.
In der Woche trafen wir uns um das nächste Gruppentreffen zu planen.
Bei den Gruppentreffen arbeiteten wir Hand in Hand.
Auch die verschiedenen Seminare durften wir gemeinsam besuchen.
Seit dem fünften Schuljahr kannte ich Sigrid, doch erst jetzt verliebte ich mich in sie.
Ihre Eltern hatten Nichts gegen unsere Freundschaft.
Im Gegenteil, eventuell sahen sie in Sigrid und mir ihre Nachfolger bei der Gruppenleitung.
An einem Samstagabend, Sigrid und ich hatten die Aufsicht in der Jugendherberge
und ihre Eltern waren auch nicht anwesend, machten wir, als die Kids im Bett waren,
einen Spaziergang. Ich gestand ihr meine Gefühle.
Doch sie hatte kein Interesse an einer Beziehung.
Ihre schulische Laufbahn und Karriere hätten absolute Priorität.
Diese Aussage wollte ich eigentlich nicht hören, doch ich musste sie akzeptieren.
Für mich änderte sich dadurch Nichts.
Wir verbrachten weiterhin viel Zeit zusammen.
Sigrid wohnte nur wenige Gehminuten vom Gymnasium entfernt.
Häufig holte ich sie vor Schulbeginn dort ab, nur um ihr einen "Guten Morgen" zu wünschen.
Ihr schien das zu gefallen, zumindest hat sie nie etwas gegenteiliges gesagt.
Auch den weiter oben erwähnten Tanzkurs besuchten wir gemeinsam.
Bei einer Gruppenreise machte ich dann einen Fehler.
Natürlich durften die Kids sich auf dem Gelände der Jugendherberge frei bewegen.
Nur das Gelände verlassen sollten sie nicht ohne Aufsicht.
Drei kleine Mädels kamen zu mir.
Ihnen sei langweilig.
Ganz in der Nähe gäbe es doch einen Aussichtsturm,
ob wir nicht gemeinsam dort hin gehen könnten, fragten sie mich.
Ich stimmte zu und so gingen wir los.
Nach etwa einer Stunde waren wir zurück und es gab ein Donnerwetter für mich.
Ausgerechnet in dieser Stunde hatte eine Mutter angerufen und nach ihrer Tochter gefragt.
Niemand wusste wo das Mädchen war.
Klar, ich hätte vorher Bescheid sagen müssen, das war ein Fehler,
doch mir wurden mögliche pädophile Absichten unterstellt
und das war einfach zu viel.
Nach dieser Reise trennte ich mich von der Gruppe.
Leider brach damit auch mein Kontakt zu Sigrid ab.
 
Man könnte sagen, dass nun die wilde Zeit in meinem Leben begann.
Mit zwei Schulfreunden (Karl und Ralf) verbrachte ich die Samstagabende meist in einer Disco.
Natürlich gab es auch zu dieser Zeit schon ein Jugendschutzgesetz,
doch dafür interessierte sich kein Mensch.
Mit 15 oder 16 Jahren bis zum nächsten Morgen in der Disco
und dabei meist ein hochprozentiges alkoholisches Getränk in der Hand
war überhaupt kein Problem.
Meinen Eltern schien es auch vollkommen egal zu sein.
Ich konnte fast immer machen was ich wollte.
Irgendwie habe ich Karl bewundert.
Fast jedes Wochenende hatte er eine andere Freundin.
Doch dieser ständige Wechsel war nichts für mich.
Wenn ich mich in ein Mädchen verlieben würde,
so sollte es schon etwas ernstes und längerfristiges sein.
 
Nach dem zehnten Schuljahr meinte mein Vater,
ich solle endlich arbeiten gehen und Geld verdienen.
Dazu hatte ich gar keine Lust.
Sehr sporadisch verschickte ich Bewerbungen für eine Lehrstelle als Fernsehtechniker.
Jede Absage störte mich überhaupt nicht.
In der Oberstufe änderte sich dann wieder einiges.
Es gab keinen Klassenverband mehr.
Jeder Schüler hatte nur seine Kurse, die er besuchen musste.
Mit Mathe und Physik als Leistungskurs gehörte ich zu einer extrem kleinen Gruppe.
Mathematik war echt schwer, doch immer noch besser als irgendeine Sprache.
Im Physikunterricht machten die Experimente richtig Spaß.
Manchmal durfte ich nachmittags das Experiment für den nächsten Tag vorbereiten.
Einmal holte der Lehrer so ein, von mir vorbereitetes, Experiment in den Klassenraum.
Zwischen einem Schalter und einer Glühbirne befanden sich diverse andere Sachen.
Der Lehrer drückte auf den Schalter, doch die Glühbirne blieb dunkel.
"Rudi, was hast du da für einen Mist gemacht ?" fragte er
und suchte dann den Fehler.
Nach 90 Minuten war die Unterrichtszeit beendet, doch der Fehler war nicht gefunden.
Ganz kleinlaut fragte ich den Lehrer ob die Birne eventuell kaputt sei.
Sofort probierte er es aus und tatsächlich mit einer neuen Birne funktionierte es.
Zum Glück haben wir beide drüber gelacht.

Zu meinen Kursen gehörte auch Philosophie.
Wie bei den meisten anderen Kursteilnehmern spielte auch bei mir die Note keine große Rolle.
Zumindest war sie für das Abitur nur nebensächlich.
Der Lehrer war noch relativ jung und gestaltete den Unterricht recht locker.
Manchmal verlegten wir den Klassenraum in ein Café.
Auch so kann Unterricht aussehen und bringt Vergnügen.
Mit Amelie gab es bei uns eine neue Schülerin.
Offiziell hatte sie ein Jahr pausiert und besuchte nun auch das Kardinal von Galen Gymnasium.
Ihrer Mutter gehörte ein Gestüt.
Dort gab es richtig viel Platz, zum Beispiel für Feiern.
Eines Abends gab es dort eine Fête des Philosophie-Kurses.
Ich war nicht mehr ganz nüchtern,
als sich plötzlich eine Mitschülerin mir an den Hals warf.
Bei mir brannten alle Sicherungen durch.
Keine Ahnung was passiert wäre, wenn uns nicht eine andere Mitschülerin getrennt hätte.
Amelie war mit Gerd befreundet.
Die beiden waren ein richtiges Paar.
Eva war mit beiden befreundet, doch sie fühlte sich einsam.
Sie hatte keinen festen Freund.
Amelie hatte ihr geraten,
sich einfach den nächstbesten Typen, der vorbei kommt, zu schnappen
und dann abzuwarten was passieren würde.
Durch Zufall war ausgerechnet ich dieser Typ gewesen.
Eva war einsam, so ohne Freund, und ich war es auch.
Warum sollten wir uns nicht zusammen tun ?
Zumal Eva toll aussah und auch sehr sympathisch war.
Unsere Beziehung, wenn ich das überhaupt so bezeichnen kann,
war von Anfang an recht kompliziert und scheiterte nach wenigen Wochen.
Was damals genau abgelaufen ist, geht niemandem etwas an.
Außerdem kenne auch ich vermutlich nicht die ganze Wahrheit.

Etwa 1980 gab es in Deutschland einen Boom.
Fast an jeder Ecke wurden Spielhallen eröffnet.
Ich verbrachte mal wieder ein Wochenende bei Marianne und ihrem Mann Peter.
Zu dritt wollten wir Pool-Billard spielen gehen.
Doch wo stehen ordentliche Tische ?
Peter kannte in Geldern, dort wohnten die beiden, nur eine Gaststätte mit so einem Tisch.
Das war allerdings eine Mini-Ausgabe und gehörte eher in das Spielzimmer eines Kindes.
Ordentliche Pool-Billard-Tische gab es nur in Spielhallen.
Wer Pool-Billard kennt, weiß das man es zu zweit oder auch zu viert spielt.
Zu dritt ist das nicht so toll.
Also spielten immer zwei von uns und die dritte Person schaute zu,
oder warf ein paar Münzen in einen der zahlreichen Spielautomaten.
Jeder, der schon mal ein Los geöffnet, oder Lotto gespielt hat, kennt das Gefühl der Anspannung.
Wird es der große Gewinn sein, oder wieder nur eine Niete ?
Was da genau im Körper eines Menschen passiert, kann ein Arzt garantiert besser erklären.
Bei Spielautomaten hat man dieses Gefühl alle 15 Sekunden.
Das kann süchtig machen.
Ich merkte es zuerst gar nicht.
Niemals hätte ich zu diesem Zeitpunkt eingestanden spielsüchtig zu sein.
Doch es ging sehr schnell und schon brachte ich jede Mark,
die mir zur Verfügung stand, in eine Spielhalle.
 
So verging die Zeit und 1984 stand ich endlich vor der Abiturprüfung.
Natürlich bin ich mit Pauken und Trompeten durchgerasselt.
In vier verschiedenen Fächern mündliche Nachprüfungen machen ist ganz schön heftig.
Die letzte Prüfung sollte in Physik sein.
Ich bin ja nicht dumm,
so hatte ich mir schon vor der Prüfung ausgerechnet,
dass ich mein Abitur geschafft hatte, egal welche Note ich in Physik erreichen würden.
Normal sitzen bei so einer Prüfung drei Lehrer und sonst niemand.
Als sich die Tür zum Physiksaal öffnette bekam ich einen Schreck.
Der Raum war voller, mir unbekannter, Personen.
"Guten Tag, damit bin ich anwesend und nun gehe ich wieder !" sagte ich zum Lehrer.
Er war geschockt und schickte mich zum Rektor des Gymnasium.
Dieser musste mir allerdings Recht geben.
Selbst mit einem "ungenügend" in Physik hatte ich mein Abitur geschafft.
Später erfuhr ich, dass der Lehrer extra Personen vom Kultusministerium
zu meiner Prüfung eingeladen hatte und durch meine Handlung blamiert worden war.
Tja, Pech gehabt !!!
Nach diesem Tag hat er kein Wort mehr mit mir gesprochen.
Eventuell hätte er mal die Prüfungsordnung lesen sollen.
Zuschauer sind bei so einer Prüfung nur zugelassen,
wenn der Prüfling vorher gefragt wird und sein Einverständnis gibt.
 
Nun hatte ich zwar mein Abitur in der Tasche, doch was sollte ich nun tun ?
Zu dieser Zeit gab es noch die Wehrpflicht.
Doch wegen meines Sehfehlers war ich als untauglich eingestuft und ausgemustert worden.
Ein Studium der Elektrotechnik klang toll.
Ich erhielt auch tatsächlich in Aachen einen Studienplatz.
Erst bei der Einschreibung erfuhr ich etwas von einem Praktikum,
das ich vor Studiumsbeginn hätte absolvieren müssen.
Na toll, Aachen konnte ich vergessen.
Am ganzen linken Niederrhein fand ich keine Firma,
in der ich so ein Praktikum hätte machen können.
Ich wollte aber unbedingt mein Elternhaus verlassen.
Endlich auf eigenen Beinen stehen, wie man so sagt.
Also nahm ich das Formular der ZVS (Zentrale Vergabestelle für Studienplätze)
und füllte es für einen Studienplatz der Volkswirtschaftslehre in Münster aus.
Ob das wohl ein Fehler war ?
So verließ ich Anfang 1985 Kevelaer und zog nach Münster.