In einer Universitätsstadt, wie Münster,
wird jeder freie Quadratmeter Wohnfläche an Studenten vermietet.
Die relativ preiswerten Zimmer in Wohnheimen sind rar.
Da gibt es lange Wartelisten.
Damit möglichst viele Studenten in den Genuß eines solchen Zimmers kommen,
wurde damals die Wohnzeit auf maximal zwei Jahre begrenzt.
Natürlich kam auch ich auf diese Warteliste, doch wo sollte ich solange wohnen ?
Viel Geld für eine Bleibe hatte ich nicht.
Wenn ich mich richtig erinnere, so hat meine Mutter Kontakt mit Pastor Schneider aufgenommen
und durch ihn, oder seine Haushälterin, wurde mir ein Zimmer vermittelt.
Ein Zimmer ist wahrlich eine übertriebene Beschreibung für dieses Kellerloch.
Ein Einfamilenhaus gehörte einer älteren Dame.
Sie bewohnte das Erdgeschoss.
Im Obergeschoss wohnte ihre Tochter und zwei weitere Studenten,
die ich allerdings nie kennen lernte.
Der ganz normale Keller, mit niedriger Decke und vergitterten Fenstern,
war auch zu einen Studentenbude umfunktioniert worden.
Dort gab es sogar eine winzige Küche mit einem Gasherd.
Für 50 Pfennige konnte ich 30 Minuten kochen.
Dafür gab es extra einen Münzeinwurf.
Mit Pech ging der Herd mitten im Kochvorgang aus,
dann mussten wieder 50 Pfennige eingeworfen werden.
Nun ja, für die Übergangszeit bis zum Studentenwohnheim würde es genügen.
Es war recht preiswert und ich konnte durch Rasenmähen noch einen Teil der Miete sparen.

Das Schloß in Münster ist der Hauptsitz der Westfälischen Wilhelms Universität.
Dort befindet sich die komplette Verwaltung.
Vorlesungen finden dort nicht statt.
Dafür gibt es in ganz Münster verteilt diverse Hörsäle.
Als Student muss man extrem diszipliniert und eigenständig sein.
Ein Schüler betritt am Morgen seine Schule.
Laut Stundenplan hat er an diesem Tag bestimmte Unterrichtsfächer.
Seine Anwesenheit ist Pflicht und wird kontrolliert.
Am Ende des Schultages kann er gehen und zuhause noch Hausaufgaben machen.
Bei einem Studenten ist das etwas anders.
Man erhält einen Lehrplan.
Welche Unterrichtsfächer gehören zum persönlichen Studium.
Außerdem gibt es eine Liste, wann und wo welche Vorlesung statt findet.
Ob man die Vorlesung besucht wird nicht kontrolliert.
Natürlich gibt es zu jedem Fach bestimmte Bücher, die man kaufen muss.
In den ersten Tagen in Münster habe ich noch versucht ein guter Student zu sein.
Doch es ist sehr schwierig jede Vorlesung zu besuchen,
wenn man den entsprechenden Hörsaal erst mal suchen muss.
Zusätzlich waren diese Vorlesungen, zumindest in meinen Augen, völlige Zeitverschwendung.
800 bis 1000 Studenten sitzen in einem Saal.
Vorne steht der Professor und liest aus seinem Buch vor.
Ja, der Begriff "Vorlesung" kann tatsächlich wörtlich genommen werden.
Zwischenfragen waren untersagt und weitere Erläuterungen gab es auch nicht.
Da kann ich besser die Bücher in meinem stillen Zimmer lesen, dachte ich.
So würde ich vermutlich besser lernen.
Doch ich setzte mich nicht hin um zu lernen.
Stattdessen machte ich lange Spaziergänge durch Münster.
Ich wollte schließlich den Ort kennen lernen,
der für die nächsten Jahre mein Zuhause sein sollte.
Außerdem wollte ich auch wissen wo es in Münster Spielhallen gibt.
Ich verbrachte mehr Zeit in diesen Hallen als an der Uni.
 
Wenige Wochen nach Semesterbeginn wurde mir ein Zimmer in einem Studentenwohnheim zugeteilt.
Wow, das war ein Unterschied.
Vorher in diesem Keller und nun konnte ich in ein helles schönes Zimmer ziehen.
Das Wohnheim hatte acht Etagen,
wobei die einzelnen Etagen immer versetzt gebaut waren.
Von Außen sah man somit nur 4, bzw. 5, Stockwerke.
In jeder Etage gab es zwei Gänge mit jeweils acht Zimmern.
Somit lebten an jedem Gang auch acht Studenten,
die sich ein Bad mit Dusche teilen mussten.
Je Etage gab es eine kleine Küche.
Eine kleine Küche für 16 Personen klingt recht wenig, doch es reichte vollkommen aus.
Wie es in anderen Gängen war, weiß ich nicht.
In meinem Gang gab es zwischen den Studenten kaum Kontakte.
Jeder lebte sein Leben und was der Nachbar macht war uninteressant.
Natürlich lernte ich meine Nachbarn kennen,
doch Kontakt hatte ich nur zu zwei Personen.
Zum einen gab es da Otto, einen Langzeitstudenten,
der nach eigener Aussage wohl schon im 14ten Semester war.
Außerdem gab es dort noch Rainer, ein Physik-Student.
Für ihn gab es nur sein Studium.
Er kannte sich toll mit Computern aus.
Na ja, zu dieser Zeit hatte man Zuhause höchsten einen C64,
oder wie ich einen ATARI 800XL.
Von Rainer habe ich viel gelernt.
Er wurde zu einem richtig guten Freund.
 
Wo junge Menschen zusammen kommen, da wird auch gerne gefeiert.
Bevor viele Studenten über Weihnachten das Wohnheim verlassen würden,
sollte am 12.12.1985 der Jahresabschluß gefeiert werden.
Gegen 20 Uhr ging auch ich zu dieser Feier.
Der Raum war nocht fast leer.
Von Stimmung konnte keine Rede sein.
So ging ich wieder in mein Zimmer und setzte mich vor meinen Fernseher.
Gegen 23 Uhr klopfte Otto an meine Tür.
Ob ich nicht Lust hätte ihn zu der Feier zu begleiten.
Natürlich ging ich mit ihm mit.
Jetzt war der Raum gut gefüllt.
Es spielte laute Musik und die Menschen schienen sich zu vergnügen.
Otto spendierte ein Bier und dann spazierten wir durch das Getümmel.
Inzwischen hatte der neue Tage begonnen.
Es war somit Freitag, der 13.12.1985.
Ich befand mich auf der Tanzfläche und bewegte mich zur Musik.
Was dann geschah hätte ich nie für möglich gehalten.
Vor mir tanzte eine junge Frau in einem blauen Jeans-Overall.
"Es ist hier sehr laut" meinte sie zu mir.
Ich kannte sie nicht, hatte sie zuvor niemals gesehen,
trotzdem legte ich behutsam meine Hände auf ihre Ohren und zog dieses Geschöpf zu mir heran.
Dann küsste ich sie einfach.
Alles um mich herum war plötzlich verschwunden.
Meine ganze Welt bestand nur noch aus diesem weiblichen Wesen in meinen Armen,
unseren Lippen, die sich berührten und unseren Zungen, die miteinander spielten.
Die laute Musik und die vielen anderen Personen gab es nicht mehr.
Klar, meine Aktion hätte auch mit einer Ohrfeige enden können,
doch in diesem einen Moment hatte ich nicht nachgedacht, sondern einfach nur gehandelt.
Sie könne nicht mehr stehen, meinte sie in einer Kusspause.
Ich lud sie in mein Zimmer ein und gemeinsam verließen wir die Party.
Erst in meinem Zimmer erfuhr ich ihren Namen: Heike heart

Wie in einem Rausch verbrachten wir diese Nacht zusammen.
Selbst als ich am Morgen Brötchen für uns holen ging,
schwebte ich immer noch auf Wolke sieben.
Seit diesem Tag habe ich ein besonderes Verhältnis zum Freitag, der 13te.wink
Sie studierte Englisch und Geschichte auf Lehramt,
hatte ein Auslandssemester in England verbracht
und war erst seit kurzer Zeit wieder in Münster.
Heike wohnte auch in diesem Wohnheim, nur eben in einem anderen Block.
Nach dem gemeinsamen Frühstück verließ sie mich.
Sie wollte sich in ihrem Zimmer frisch machen und später wieder bei mir erscheinen.
Die Türe hatte sich kaum hinter ihr geschlossen als Otto anklopfte.
Wieso ich so schnell von der Party verschwunden war, wollte er wissen.
Ich erzählte ihm von Heike.
Mit den Worten
"Hoffentlich habt ihr wenigstens an Verhütung gedacht"
holte er mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
Ups, daran hatte ich wirklich nicht gedacht.
Etwas später kam Heike zurück und zu dritt verbrachten wir einige Stunden.
Wie gerne hätte ich Otto zum Mond geschossen um mit Heike allein sein zu können,
doch er kapierte es nicht.
Irgendwann wollte Heike erneut für kurze Zeit in ihr Zimmer.
Auch Otto ließ mich allein.
Endlich kam ich an diesem Tag zur Ruhe.
Dadurch muss ich wohl eingeschlafen sein.
Am nächsten Morgen fand ich einen Zettel von Heike.
Sie hatte ihn wohl unter meiner Zimmertür durchgeschoben.
Da ich vermutlich geschlafen habe, wollte sie mich nicht wecken.
Sie hoffte, dass wir uns bald wiedersehen würden.
Jetzt musste ich schnell handeln, denn schon bald würde Peter mich nach Geldern abholen.
Ich sollte im Kreis meiner Familie die Weihnachtstage verbringen.
Also schnappte ich mein Rad und besorgte einen Strauss roter Rosen.
Diesen legten ich mit einer Karte vor Heikes Zimmertür.
Natürlich sehen wir uns direkt nach Weihnachten wieder. Ich freue mich drauf.
Peter bemerkte sofort an mir eine Veränderung und so erzählte ich ihm von Heike.
Die nächsten Tage war mein Körper bei meiner Familie in Geldern und Lohmar,
doch mein Geist und meine Gedanken waren ständig bei dieser tollen Frau.
In Lohmar suchte ich mir eine Telefonzelle.
Sicherlich hätte ich auch das Telefon in der Wohnung nutzen dürfen,
doch ich wollte privat und vollkommen ungestört mit Heike reden können.
Wenn ich mich richtig erinnere, so war zuerst ihr Vater am Apparat.
Er rief dann seine Tochter.
Heike gestand mir, dass ich sie gerade in der Badewanne erwischt hatte.
Splitterfasernackt würde sie gerade am Telefon stehen.
Ups, sorry !!!
Um so mehr freute es mich, dass sie mit mir sprach.
Klar, dieses Telefonat dauerte nicht sehr lange.
Schon am 27.Dezember sei ich wieder in Münster,
wenn sie mich sehen möchte, so wüsste sie wo mein Zimmer ist.
Ich würde mich in jedem Fall auf unser Wiedersehen freuen.
Endlich sahen wir uns wieder.
Als Weihnachtsgeschenk hatte ich für sie ein silbernes Kettchen mit Anhänger besorgt.
Heike freute sich sehr, war aber auch etwas beschämt.
Sie war sich nicht sicher gewesen, ob wir uns wirklich wiedersehen
und deshalb hatte sie kein Geschenk für mich.
Doch das störte mich nicht.
Sie war das schönste Weihnachtsgeschenk !!!
Schon am nächsten Tag kam sie mit einer Tüte voller Geschenke.
Da in meinem Zimmer ein wenig weiblicher Touch fehlen würde,
hatte sie mir unter anderem ein Poster mit einer Friedenstaube besorgt.

An Sylvester waren wir zu einer Party, bei einer ihrer Freundinnen, eingeladen.
Um Mitternacht gingen alle Partygäste ins freie, um das Feuerwerk zu bewundern.
Nur Heike und ich nicht.
Wir umarmten und küssten uns.
So hatten wir unser eigenes Feuerwerk.

Im Januar folgte mein erster Besuch bei ihrer Familie.
Oh man, war ich nervöus.
Doch von Anfang an war ich kein Besuch, sondern gehörte einfach dazu.
Sogar der kleine Mischlingshund Henry akzeptierte mich.
In diesem Haus gab es für Heike und mich nur eine Regel.
Wie wir in Münster lebten war ihrer Mutter egal,
doch in diesem Haus würden wir in getrennten Betten in verschiedenen Zimmer schlafen.
Natürlich haben wir uns nicht immer daran gehalten,
aber Ärger haben wir deshalb auch nicht bekommen.

Meine Mutter hatte sich inzwischen von meinem Vater getrennt
und lebte nun in der Nähe von Marianne in Geldern.
Sie hatte nur noch einen wirklichen Wunsch in ihrem Leben.
Ihr Sohn Rudi sollte eine liebevolle Frau finden und glücklich sein.
Klar, auch Heike war beim ersten Besuch bei meiner Familie sehr nervös.
Heike machte mich glücklich, das erkannte meine Mutter
und so sah sie in Heike die perfekte Schwiegertochter.
 
Am 13.Juni 1986, wieder ein Freitag, haben wir uns verlobt.
Voller Stolz und über glücklich präsentiere Heike den silbernen Ring ihren Freundinnen.
Wir waren ein super Paar und wollten es auch für immer bleiben.
 
Folgende kleine Geschichte habe ich niemals einem Menschen erzählt,
auch Heike hat es nicht erfahren.
Wenige Tage nach unserer Verlobung ging ich in Münster ganz allein in eine Kirche.
Vor dem Alter kniend dankte ich Gott dafür, dass er Heike in mein Leben gebracht hatte.
Ich versprach sie immer zu ehren und zu lieben,
bis zu dem Tag an dem ich sterben werde.
Eigentlich hatte ich zu dieser Zeit mit Kirche und Religion nicht viel am Hut,
doch dieses kleine Gebet musste einfach sein.
 
Irgendwann wurde ich für Heike sogar zum Dichter.
Du, du, du ...
Ich weiß nicht was, oder doch ?
Du Rose im Schnee,
Du mein Gedanke, wohin ich auch geh,
Du Sonnenschein an trüben Tagen,
Du Antwort auf all meine Fragen,
Du Königin meines Lebens,
Du Ziel all meines Strebens.
Das alles und mehr bist du für mich.
Oder kurz in drei Worten:
"Ich liebe Dich !"

Ja, irgendwo in mir schlummert eben auch ein Romantiker.
 
Viele kleine Geschichten von Heike und mir könnte ich erzählen,
doch die gehören nicht wirklich hierher.

Im Frühjahr 1987 verbrachten wir gemeinsam einen ganz normalen Sonntag.
Wir hatten zu Abend gegessen und uns um den Abwasch gekümmert.
Eigentlich erwartete ich einen gemütlichen Abend vor dem Fernsehen,
doch Heike hatte andere Pläne.
"Rudi, ich muss mit dir reden" sagte sie,
gab mir den Ring zurück,
drehte sich um und ging.
Ich war geschockt.
Genauso plötzlich und unvorhersehbar wie alles begonnen hatte,
sollte nun alles zuende sein.
Natürlich wollte ich das nicht einfach akzeptieren.
Wir sind Menschen und können über alles reden, dachte ich,
doch zu einer Aussprache ist es nie gekommen.
Heike hat es einfach nicht zugelassen.
Sie hatte noch Sachen bei mir.
Gelegentlich kam sie vorbei,
immer in Begleitung einer Freundin,
um den einen oder anderen Gegenstand zu holen.
Die Besuche dauerten nur Sekunden und dann schloß sich meine Türe wieder hinter ihr.
Jedes mal starb in mir etwas mehr.
So konnte es nicht weiter gehen.
Aus reiner Verzweiflung packte ich alle ihre Sachen und brachte sie zu ihr.
Natürlich öffnete Heike mir nicht.
Also landet alles vor ihrer Zimmertür.
Wie das für ihre Nachbarn aussah, war mir egal.
Es sollte ein klarer Strich unter unserer Beziehung sein.
Heike habe ich niemals wieder gesehen.
Nur in meinem Herzen und in meinen Gedanken war sie ständig präsent.
Schloß ich meine Augen, so sah ich unverzüglich ihr wunderschönes Gesicht.
In meinen Träumen waren wir auch weiterhin zusammen glücklich.
Früher hatte ich viel Zeit in Spielhallen verbracht.
Während es Heike in meinem Leben gab, war es viel weniger geworden.
Doch nun kam die Sucht wieder so richtig hervor.
Nur vor den Automaten konnte ich abschalten und wenigstens einige Zeit nicht an Heike denken.
Wenn ich nicht mit ihr glücklich sein darf, so wollte ich niemals wieder mit einer Frau glücklich sein.
Mir war es nicht bewusst und es war bestimmt keine Absicht,
doch ich baute dicke hohe Mauern um mein Herz.
Niemals wieder sollte ein Mensch mein Herz für sich gewinnen können.
Natürlich lernte ich noch andere Frauen kennen,
doch sobald Gefühle ins Spiel kamen, blockte ich ab.
 
So lebte ich noch einige Zeit in Münster.
Mein Studium ??? Ach ja, das gab es offiziell ja auch noch,
doch in der Realität sah es anders aus.
Wann hatte ich eigentlich zuletzt ein Universitätsgebäude von innen gesehen ?
Im Spätsommer 1989 musste ich einsehen, dass mein Leben in Münster gescheitert war.
Ein Neuanfang musste her.
Also zog ich wieder zu meiner Mutter nach Geldern.